Berliner Morgenpost, 5.12.1996:

 
Tricky: Der Sound
ist der Star, 
nicht der Interpret
    Heimweh hat jeder einmal, der umherreist. Adrian Traws alias Tricky fühlt sich seit seiner Rückkehr aus New York, wo er ein halbes Jahr arbeitete, nicht so wohl in seiner englischen Heimat. "Hier liegen mir alle auf dem Pelz und wollen etwas. Manchmal traue ich mich gar nicht auf die Straße, so verrückt ist es. Ich mache doch bloß Musik", wundert sich jener, der gestern im Berliner Metropol Station machte. Aber Tncky gehört zu den Tonartisten mit Vision. Sein Debütalbum "Maxinquaye" setzte Maßstäbe auf dem Gebiet des Trip Hop, einer Kombination aus schleppenden Hip-Hop-Beats und gruseligen Sounds.

   Doch Tricky reagiert auf Bewunderung mit Anti-Star-Tendenzen. Der Sound ist der Star, nicht der Interpret. "Das Schöne am Erfolg ist, daß ich mit Kollegen in Kontakt komme, die ich früher glühend bewundert habe, etwa Neneh Cherry oder Alison Moyet. Denen kann ich helfen, wenn es bei ihnen nicht mehr so läuft. Mein Gedankentank bordet über, da kann ich alle mit versorgen."

   Nicht alle Kollaboralionen verliefen reibungslos. Im Sommer meldete die britische Presse ein Zerwürfnis mit der Newcomerband Garbage. Doch seit seine Plattenfirma ihm grünes Licht zur Gründung eines eigenen Labels gab, kann sich Tricky vor Anfragen kaum retten. So wird die Disco-Diva Grace Jones ihr Comeback mit Trickys Firma Durban Poison versuchen. "Aus den Aufnahmen halte ich mich völlig heraus. Sie ist der Chef, ich helfe ihr vielleicht mit der Technik", freut sich Tricky auf die Zusammenarbeit. 

huf

 
Trickys schmerzhafte Attacken 
auf die Sinnesorgane seiner Fans
    Manchmal hilft schon ein simpler Trick. Wie folgende Frage: Wer sagt eigentlich, daß alles, was von Platte und Konzertbühne kommt, auch gleich Musik ist? Und die Antwort: Niemand. Genau. Womit wir zumindest einen einigermaßen brauchbaren Ansatz zur Bewältigung des letzten Tricky-Konzerts hätten. Denn, ketzerisch formuliert: Mit Musik hatte das wenig zu tun, was der Medienliebling des Vorjahres seinem zahlreich erschienenen Berliner Publikum zu bieten hatte.

   Fürst Zwielichts gegenwärtiger Weg fährt ins Dunkel. Gab es beim Konzert zu ,,Maxinquaye", seinem Debütalbum, noch Ansätze von Licht und Bewegung, so blieben sie zumindest für die hiesige Show vollständig getilgt: eine Bühnenbeleuchtung von der Stärke eines Notausgangsschildes, gelegentliche tiefdunkle Spots auf Gesangspartnerin Martina, kein Lichtstrahl auf Tricky selbst. Kritiken aus anderen Städten reden von vergleichsweise konventionellen Konzerten.

   Tricky geht es um Grundsätzlicheres: die ungeteilte Konzentration auf sein l70minütiges Bild von der gegenwärtigen Welt mit akustischen Mitteln. Immergleiche, hypnotisch bis zu 30 Minuten lang mahlende Industrial-Grooves ohne jede Abwechslung; fernes Grollen dämonenhafter Mutanten; einen Endzeit-Visionär auf seinem düsteren Trip, der minutenlang auf stockdunkler Bühne mit dem Rücken zum Publikum endlose Beschwörungen des Untergangs in seinen nicht vorhandenen Bart grummelt.

   Warum er die Freunde der Popmusik ins Visier genommen hat? Wer wagte das zu beantworten. Aber es ist ein verdienstvolles Unterfangen, die Jünger dieses Genres der Zeit auf den Boden der schmutzigen Tatsachen zurückzuholen - und sei es mit den Mitteln derartiger an Folter grenzenden Attacken auf die Sinneswahrnehmungen seiner Fans.

   Sich dabei als besonders trickreich zu erweisen, wäre noch einmal etwas anderes. Doch der Vorschlaghammer tut es auch. Und den Geschlagenen gefällt's.

               Hilmar Fischermann

 
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