TRICKY
,,Ich lerne immer noch", sagt ein kleiner, auf den ersten Blick unscheinbarer Mann aus Bristol. ,,Eines Tages möchte ich Songs schreiben, die so gut sind wie die von Bob Marley, Prince oder Kurt Cobain. Ich habe das noch nicht erreicht, und es wird auch noch dauern, bis ich auf dieser Stufe ankomme."
Dieser Mann nennt sich Tricky und veröffentlicht in diesen Tagen sein drittes Sobalbum, "Angels With Dirty Faces", auf dem er nicht nur von seiner langjährigen Sängerin Martina, sondern bei der Vorabsingle ,,Broken Homes" auch von der englischen Alternative-Rock-Queen PJ Harvey unterstützt wird. Nebenbei ist Tricky aber natürlich auch noch Schauspieler (zuletzt in "Das Fünfte Element" mit Bruce Willis), Bandleader, Produzent (bei Nearly God) und Labelboß. Gerade wegen dieser Rastlosigkeit sind Gespräche mit Tricky so selten wie Lottogewinne. Aber nicht nur seine Interviewpartner haben darunter zu leiden, auch seine Plattenfirma hat des öfteren keinen Schimmer was der kleine Giftzwerg gerade ausheckt. Die Bänder von "Angels..." bekam das Label beispielsweise erst vor wenigen Monaten zu hören, obwohl die LP schon vor Tricky's Lollapalooza-Tour durch Amerika im Sommer '97 fast komplett fertig war. Er erklärt: ,,Die Plattenfirma hätte mir wahrscheinlich einen Produzenten besorgt, der den Radio-Sound draufhat, und das wollte ich nicht. I don't give a fuck about radio."

Herausgekommen ist tatsächlich eine LP, die eher geringe Chancen hat im Daytime-Radio zu landen: weg von der totgelaufenen TripHop-Schablone hin zu bodenständigeren Roots-Sounds. "Angels With Dirty Faces" klingt wie ein modernes Blues-Album, ohne den Zeitgeist mit Hip Hop und Dub völlig zu vergessen. Düster und klaustrophobisch ist der Sound der Platte, die erstmals komplett in Trickys Wahlheimat New York aufgenommen wurde.
"Das Leben in New York war ein großer Einfluß", sagt Tricky, den seine Mama als Adrian Thaws kennt, dann auch folgerichtig. Um ihn herum gäbe es einfach sehr viel Tod und Elend. »Du steIlst fest, das Leben ist schäbig."

Nicht jeder wird mit den düsteren Klängen klar kommen. Einige haben die LP sogar etwas voreilig eine ,,melodienfreie Zone" genannt. Der Sound mag vielleicht nicht gerade radiofreundlich sein und ist definitiv ein ganzes Stück vom alten Sound seines Debutalbums "Maxinquaye" entfernt, dem Album, das die TripHop-Klischees mitbegründete. Aber diese Transformation passssierte gewollt: "Das neue Material ist anders als alles andere" meint der 29jährige nicht ganz unbescheiden. ,,Ich wollte kein neues 'Maxinquaye' machen. Dieses Album bietet neue Musik, und ich finde, 'Pre-Millenium Tension' fehlte das. Bis jetzt verarbeitete meine Musik immer das, was ich gesehen hatte, aber die neuen Sachen handeln von Dingen, die ich noch nicht gesehen habe. Ich habe in meinem Leben noch nie so etwas gehört. Alles basiert auf Keyboards und ist sehr funky."

Weg vom synthetisch-elektronischen Sound will er auch mit seiner Live-Show. Waren schon auf der Tournee zum Vorgängeralbum "Pre-Millenium Tension" weniger technische Spielereien zu hören, enthält das neue Album mit ein bis zwei kleinen Ausnahmen überhaupt keine Samples und ist fast vollständig mit Live-Instrumenten eingespielt worden.
"Meine Live-Shows sind inzwischchen alles andere als elektronisch. Ich war eigentlich auch nie wirklich auf Elektronikzeug angewiesen, sondern habe meine Gruppe immer schon als Live Band gesehen. Und dieser Trend setzt sich jetzt noch fort."

Bisher kam Tricky allerdings nur für eine kurze Stippvisite (ein einziger Auftritt in Hamburg Ende Mai) zu uns herüber. Grund dafür sind neben Live-Aktivitäten jenseits des großen Teiches auch sein verstärktes Engagement als A&R für sein eigenes Label 'Durban Poison'. Auf dessen Veröffentlichungsplan stehen neben The Autumn People mit verrücktem R&B und HipHop-Producer DJ Milo & The Baby Namboos (die Band von Trickys Cousin Mark Porter und Tony Quigley) dieses Jahr nämlich auch die als Sex Pistols des HipHop angekündigten Drunkenstein.

Bei soviel neuen Freunden kann es sich der kleine Teufel aus Bristol anscheinend leisten alte Freundschaften kaputtzuma chen. In dem neuen Song "Money Greedy" werden Massive Attack öffentlich gedisst. Am deren erstem Album ,,Blue Lines" er ja maß geblich beteiligt war; Tricky ist davon überzeugt, "Euro" und "Protection" von deren zweitem Album produziert zu haben und nie die fälligen Credits bekommen zu haben. Merke: Wer Tricky zum Freund hat, braucht offensichtlich keine Feinde mehr. Genauso klingt auch das Album: einsam, rauh und immer ein bißchen böse.

Carsten Wohlfeld
 
 

LP-Discographie:
Massive Attack "Blue Lines" (1991, Virgin)
Tricky "Maxinquaye" (1995, Fourth & Broadway/Island)
Massive Attack "Protection" (1995, Virgin)
Nearly God "Nearly God" (Durban Poison/Island)
Tricky "Pre-Millenium Tension" (1996, Fourth & Broadway/Island)
 

Aktuelles Album: Tricky "Angels With Dirty Faces" (Island/Mercury)

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