Gibt es etwas Anmutigeres als ein Treffen mit einer launischen und gewaltbereiten Diva? Tricky ist bekannt für seine morbiden Sounds und dazugehörige Stimmungen. Dementsprechend erstaunt war Holger i'nt Veld über seine sehr entspannte
NIGHT OUT WITH TRICKY
Um zehn ist alles gut. Wir stehen an der Bar in einem vollen
Londoner Club. auf der Bühne rocken dEUS ihren freundlichen Schingel-schangel. Hier und über die selbe Anlage haben auch schon die Sex Pistols gespielt. Synchronisierte Lichtschleudern überblenden den Klangmatsch. Adrian Thaws stört das nicht. Er steht inmitten eines Pulks aus Oberen und Unteren seiner großen, international agierenden Plattenfirma, trinkt Bier aus einem Halb-liter-eimer, lächelt, schwatzt und zieht an einem Jomt. Der erste seit Stunden. Er ist entspannt. Alle sind entspannt. Die Generalprobe ist bestanden.
Fünf Stunden vorher hatte Tricky auch schon gute Laune. Nur wußten es die Menschen um ihn herum noch nicht. Promoterinnen sehen ihre Köpfe rollen, Produktmanager ihr Geld verpuffen, Journalisten ihre Stories platzen. Das Wort vom angsteinflössenden, unberechenbaren Künstler macht die Runde. Und dies ist der erste Presse-Tag seit einem Jahr. Deutschland als Lackmus-Test. Wird er, wie zuletzt in Glastonbury, ohne weitere Ankündigung seine Faust im Gesicht der Medien versenken? Generalstabsmäßige Planung soll schlimmeres verhindern. Die Gespräche beginnen erst um fünf, um den sensiblen Nachtrnenschen möglichst oben auf der Bio-Kurve zu erwischen. Ob ich gut vorbereitet sei? Ob ich auch genug Zeit hatte, das neue
Album zu hören? Ob ich wüßte, daß das Wort Trip-Hop weniger beliebt ist? Ja. Ja. Ja. Irgendwann ist es geschafft. Ich bin auch nervös. Was, wenn er so unverständlich nuschelt, daß ich beständig nachfragen muß? Was wenn er gar nichts sagt? Seine Augen auf weiß dreht? Oder seinen Kopf um 180 Grad?
Auch für die Zuschreibung luziferscher Phantasmen hat Tricky eine bemerkenswerte Physiognomie. Mit seinem flachen, vorstehenden Kopf erinnert er an einen Gepard, gleichzeitig sind die Augen wie bei einem Fluchttier weit auseinander. Faszinierend die Bewegungen seines spitz hervorstechenden Adamsapfels, wo die Entstehung der kehligen Laute sichtbar wird.
Es ist Punkt fünf. Das vermeintliche Monster steht aufgeräumt und in freundlichem Hellblau in der Lobby. Er will nicht in der reservierten Suite bleiben. Er möchte Frühstück und Gespräche. Hätte jemand sich die Zeit genommen, im Vorfelde das Netz zu erforschen, vieles wäre klar gewesen.
Auf einer kruden Fan-Seite war zu erfahren, daß Tricky versucht, seine Nervenverspannungen in den Griffzu kriegen, erst mit Tai-Chi, dann mit Analyse. Schließlich ließ er sich eine Pilzerkrankung diagnostizieren und begann eine halbjährige Diät. Ergebnis: "I feel so much better. I've written some new songs that I love. They're not nearly as tense and paranoid as the old stuff." Tricky hat einen, hat mehrere Schnitte gemacht, mit England, mit Maskerade, mit Dunkelheit. Er hört sich seine alten Platten nicht mehr an und hielt sich in Miami und L.A auf, um seine Platte zu mischen.
Der Neubeginn heißt Juxtapose, Nebeneinanderstellen. Zu hören ist die, nachdem mit Maxinquaye die Sprache gesetzt war, heterogenste und offenste aller Produktionen: erstickte Grooves, Beats der elektroiden HipHop-Frühzeit und dahingeworfene Keyboard-Läufe mit einer Vielzahl neuer Stimmen. Tricky, umgibt jetzt strahlende Transparenz. Es sollte mal Stonepony heißen und eine Band sein, besetzt mit 

 
ihm und seinem neuen Freund DJ Muggs von den THC-Helden Cypress Hill. Aber Muggs hat ihm keinen Hiphop gegeben. "Jedes mal, wenn ich mit Leuten aus dem HipHop arbeite, gehen sie auf mich zu. Muggs' Sachen haben sich wie mein Zeug angehört und nicht wie Muggs'. Er war nicht zu hören. Es machte keinen Sinn." Sinn bezeichnet Ziel. Tricky will in das sprachlich und musikalisch starre System namens US-Major-League HipHop, will  über die Charts die selbstreflexiven Wände einzureißen. Das, so glaubt er, geht nur mit dem guten alten Prinzip der inneren Aushöhlung. "Die einzige Möglichkeit, etwas zu verändern, ist: indem du dich hineinbegibst. Anders kannst du die Struktur nicht verändern." Und weil Timbaland letztens im Fernsehen gesagt hat, daß er von Trickys Sachen beeinflußt wurde, und weil Timbaland eine ganze Nation beinflußt hat, ändert sich auch schon was. In seinem Sinne. Seine Marke ist gesetzt. Also muß Tricky rein und infiltrieren. 
Ganz so naiv, wie das jetzt klingt, ist Tricky nicht. Er weiß, daß er dafür Kompromisse eingehen muß. Beladen mit dem Image eines morbiden englischen Weirdos, dessen Rezeption kaum über die College-Hörerschaft hinausreicht, braucht er Eintrittskarten für den großen Zirkus. Daß seine Musik funktioniert, ist dafür nicht mehr als selbstverständlich. Deswegen trat Grease auf den Plan, der als Produzent von DMX gerade Höchstnotierungen in New York erzielt. Das soll, das muß reichen. Der übliche verkaufsbedingte Gästeklüngel des HipHop bleibt draußen: "Da geht es nur um
Celebrities, das hat nichts mit Musik zu tun." 
Für sein neues Ziel, für und gegen HipHop zu kämpfen verzichtet der Künstler auf Zweideutigkeiten, wird Aktvist für ein sozial verträgliches Leben jenseits der Medien. For Real, das erste Stück, ist diesbezüglich zentral. "Du bist nicht echt. Du nimmst deinen Plattenvertrag zu wichtig." Zack, bumm. Auch wenn er nicht der erste ist, der das sagt, nimmt Tricky als europäischer Zuwanderer doch eine deutlich ungünstigere Position für seine Attitude-Kritik ein. Da klingen des berühmten Soziologen Robert "RZA" Diggs Worte nach: "Only thing that fuck him up over here is how he be dressing. People won't take it as art, they'll think he's on some homo, drag queen shit." Glück für Tricky also, daß er rechtzeitig zum avisierten Einstieg in die schwulenfeindliche Community seine eigene "Realness" entdeckt. Mit Maskerade, zudem weiblich konnotierter - Lippenstift und Kleidern - geht das nicht. "Auf dieser Platte siehst du mich ganz normal. Street, kein Make-Up." Mal gucken, wie lange er den Zirkus erträgt, oder ob dieser ihn einsaugt. Tricky neben DMX und Puffy fasziniert ungefähr so wie Kurt Cobain zwischen Aerosmith und Metallica. Er jedenfalls ist höchst motiviert und sein emotionsarmer Wallstreet Manager hat spitze Ellenbogen. Große Assimilationskräfte werden walten und Tricky wird als abseitige Bereicherung eingepuzzelt. Der erste Schritt ist getan. Nach einem Jahr beherrscht er das HipHop-Begrüssungsritual. In einem Jahr wird er HipHop sein. Ein Jahr später wird er woanders sein wollen.

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