''Tricky Kid'' nannten sie ihn, als er mit einer Street-Gang die Straßen von Bristol unsicher machte. Heute ist ADRIAN THAWSalias Tricky für Kritiker und Trip Hopper fast schon ein Gott
trickys
T R I P
tricky 3D daddy g mushroom Fürs Teamwork nicht geschaffen: Bereits nach einem Album verließ Tricky (l. außen) die Kol- legen von Massive Attack, um ungeslört Joints zu rauchen, den Haß auf die Menschheit zu pflegen und seine revolutionären Sound-Ideen zu entwickeln.
Adrian Thaws träumt davon, die Köpfe der Menschen explodieren zu lassen, nur durch die Kraft seines Willens - wie im Film ,,Scanners": ein Whooom!,die Hirnteile spritzen, und Thaws hat seine Ruhe. ,,Es ist ein verdammter Krieg, Mann", sagt Adrian, den sie Tricky nennen. ,,Sie oder ich, darum geht es."
   Der 28jährige ist klein und schmächtig und macht auch niemandem Angst, wenn er wie jetzt seinen Oberkörper aufrichtet und die Brust nach vome schiebt. Aber seine Augen! Ähnlich wie in den schwarzen Löchem im Weltraum scheint in Trickys Augen eine Energie zu lauern, die alles verschlingen kann, was ihr zu nahe kommt. Solche Augen könnten tatsächlich die Kraft haben, Schädel zu spalten.
    Tricky hat viele Feinde. ,,Die meisten Menschen gehen mir auf die Nerven, ich hasse ihre Spielchen und Betrügereien", sagt er und rutscht so tief ins Sofa, daß er fast darin verschwindet. ,,Oft starre ich sie an und hoffe, daß sie wenigstens Kopfschmerzen kriegen." Viele der Feinde gehören zur britischen Musikindustrie. Sie behaupten, es sei ein gutes Jahr gewesen für den Pop im Königreich, doch Tricky weiß, daß es eines der schlechtesten war. ,,Alle wollen die neuen Beatles sein, keine Band schafft Eigenes, Besonderes. Supergrass etwa: Ich mag die Jungs, aber was hat das mit Entwicklung zu tun, mit neuer Musik, neuen Ideen? Lächerlich! Oder Oasis. Hör dir die stumpfen Texte an! Nichts davon löst einen verdammten Gedanken in meinem Kopf aus."
   Tricky hat in diesem Jahr bei den Brit-Awards keinen Preis bekommen, obwohl seine Text- und Tonkonstruktionen so kühn und gewagt sind, daß nicht nur die Kritiker euphorisiert sind von dem, was sie in ihnen auslöse~ ,Wenn du so einen Preis bekommen willst, mußt du ihre Spiele spielen", sagt Tricky. ,,Ich bin zu militant, in meiner Musik und in meinem Verhalten. Nur brave Jungs bekommen Brit-Awards."
   Tricky war nie ein braver Junge. Einmal war er fest entschlossen, einem Journalisten mit einer 45er in den linken Fuß zu schießen. ,,Du mußt den Menschen Respekt beibringen", sagt Tricky. Das hat er in seiner Jugend gelernt, als Mitglied einer Gang in Bristol. ,,Du mußt ihnen zeigen, daß du böse und gemein sein kannst, damit sie dich respektieren." Tricky ist heute Popstar - so was verschafft Respekt, aber es ist auch frustrierend: ,,Alle wollen aus mir das machen, was sie er warten, ein verdammtes Produkt."
   An dieser Stelle beginnt Trickys Krieg - sein nächstes offizielles Album ist fertig, es erscheint im Herbst, aber zwei Veröffentlichungen im Jahr erlaubt die Plattenfirma nicht. Kurzerhand veröffentlichte Tricky nun eine CD unter dem Namen "Nearly God". Auch die Musik ist anders: wenig Beats, wenig Trip Hop - neben Martine, Trickys Partnerin auf "Maxinquaye", singen diesmal auch Björk, Terry Hall und Alison Moyet. Tricky hat merkwürdige Geräusche und Töne um die Stimmen seiner Gastsänger gewoben - und eine Stimmung geschaffen, die beklemmend ist und bezaubernd zugleich.
   Musik, hat Tricky einmal behauptet, sei seine Art, Rache an den Menschen zu nehmen, ohne jemanden zu töten. Tricky beugt sich vor, drückt den Joint aus, energisch, als würde er ein Insekt zerquetschen. ,,Ich bin ein frustrierter Gangster", sagt er und lächelt. ,,Wenn ich die Macht dazu hätte, würden eine Menge Leute sterben. Stattdessen muß ich mit meiner Musik die Leute quälen."
   Natürlich richten seine Songs keinen Schaden an. Das weiß er. Aber wenn er sie schreibt, ist da oft der Wunsch, Schmerz bereiten zu wollen, mit Worten und mit Geräuschen. Besonders in den Texten, sagt er, würde er seine Energie focussieren, um Seele und Geist des Hörers zu ängstigen. Doch Trickys Krieg mit dem Rest der Welt ist nur der Nebenschauplatz; den eigentlichen Kampf führt er mit sich selbst. ,,Ich habe eine gestörte Beziehung zu allem", 
sagt er, ,,zu Sex, zu den Menschen. Alles ist irgendwie verdreht. Ich fühle mich verunsichert, verwirrt, ängstlich. Ich versteh es nicht, ich hab keine Ahnung, wo's herkommt."
   Als Adrian Thaws vier war, brachte sich seine Mutter um; kurz darauf verschwand auch der Vater. Adrian wurde in der Familie herumgereicht, bis er bei seiner Großmutter blieb, die er achtete und ein wenig fürchtete. Nachts saß er mit ihr vorm Fernseher, sie sahen sich Horrorfilme an, und am nächsten Tag bekam er eine Entschuldigung und mußte nicht zur Schule. Oma starrte ihn oft nur an, stundenlang, weil sie in ihm den Geist ihrer verstorbenen Tochter zu sehen glaubte. So was kann üble mentale Späffolgen lostreten.
   Mit seiner Gang in Bristol raubte er Häuser aus. In der Bande war Adrian der schmächtigste, doch er hatte die größte Klappe, die Ideen und die Energie, die alle antrieb. Das verschaffte ihm Respekt und den Namen ,,tricky kid". Schon damals hat Tricky gerappt, auf Partys, ganz spontan, oder einfach, wenn er über die Straße ging - sein Kopf wäre geplatzt, wenn er das Durcheinander dort nicht herausgeredet hätte. Damals kam er auch in Kontakt mit dem Künstlerkollektiv ,,The Wild Bunch", zu dem Massive Attack und Jungle-Star Goldie gehörten. Mit Massive Attack arbeitete er auf deren erstem Album zusammen. 
   Beides hat ihn beeinflußt, die Macho- Welt der Gangs und sein Zuhause, dominiert von einer versponnenen, alten Frau, die er liebte. In alten Sience- fiction-Filmen zeigt man uns oft eine Gerätschaft, die Futurismus andeuten soll: ein Zylinder oder eine Glaskugel, in deren elektrischer Funke zwischen Plus- und Minus Pol hin und her zuckt. Tricky ist dieser Funke, ständig in Spannung zwischen zwei Polen, der Zukunft des Pop vielleicht näher als jeder andere Musiker in Europa. Ihm gelingt, was Musik erst wahrhaft zwingend macht: Er kanalisiert in ihr all die Kräfte, die in seinem Inneren toben.

 
   Ein Talent, das auch gerne von Kollegen genutzt wird: Björk und Neneh Cherry ließen ihre Alben von Tricky produzieren. Er genießt das, diese Anerkennung, selbstverliebt, wie er ist; er haßt das, diese Ausbeutung, selbstverliebt, wie er ist. Über seine Arbeit mit Björk an deren Album hatTricky gesagt, das sei wie ,,mit einem verdammten Vampir, der dein Blut saugt, in einen Käfig gesperrt zu sein". ,,So fühlst du dich, wenn du für jemand anderen die Texte schreibst und die Musik produzierst: ausgesaugt und ausgebeutet. Dann mußt du sehr vorsichtig sein, mußt sicher gehen, daß du genauso viel Nutzen davon hast wie der andere." In Trickys Krieg gibt es keine Allianzen: ,,Ich suche mir meine Verbündeten, wenn ich gewonnen habe."
   Wie soll er also urteilen über Goldie oder Björk? Sie sind seine Freunde und seine Konkurrenten, er hört ihre Songs nie freiwillig, aber wenn sie im Radio laufen, findet er sie großartig. Auch die früheren Partner von Massive Attack sind für ihn nur Erinnerung, außer einem Bier in einem Pub kann und will er mit ihnen nichts mehr teilen. 
   Vor allem nicht das Label ,,Trip Hop" oder ,,Sound of Bristol". Beides haßt er. Auch die Arbeitsweise vieler Kollegen ist ihm fremd. Tricky trieb es in den Wahnsinn, wenn Massive Attack tagelang an einem Track herumbastelten. In seinem Kopf flirren so viele Ideen, daß er sich fühlte, als hätte jemand eine Fußgängerampel auf eine vierspurige Autobahn gestellt. Tricky nimmt kein Stück öfter als zweimal auf, sonst, fürchtet et, würde die Energie zerstört. Und Energie ist ihm das wichtigste in seiner Musik.
   Tricky, der manchmal müde und apathisch ist vom Haschisch und zu
langen Nächten, im nächsten Moment aber aufspringt, aufgedreht bis zur Nervosität, spielt eine Hauptrolle im nächsten Film des französischen Regisseurs Luc Besson. Kein Wunder, er wirkt bisweilen so vom Wahn bedroht wie Gary Oldman in Bessons ,,Leon":
  Mal glaubt et, daß Konzertveranstalter seinen Auftritt ruinieren wollen, mal fühlt er sich verfolgt von breitschultrigen Schlägern oder diffamiert von Journalisten. Ob das Haschisch, für ihn ein Grundnahrungsmittel, diesen Wahn lindert oder fördert, weiß er selbst nicht genau zu sagen. ,,Ein Paranoiker", schrieb William Burroughs, ,,ist jemand, der die Zusammenhänge erkennt."
   Vielleicht setzt sich Trickys Musik deshalb so in den Gehörgängen und noch weit dahinter fest, weil all die Zerrissenheit und Verwirrung, die er damit transportiert, tiefe Wahrheit ist und eine Zustandsbeschreibung dieser Welt. In Trickys Welt verwischen die Grenzen. Mal hält er sich für Gott, mal für den Teufel; er läßt martialische Symbole auf seinen Arm tätowieren und erscheint geschminkt und im rosa Kleid zum Fototermin. Er wünscht sich eine Frau, die sich um ihn kümmert, fürchtet sich aber vor einer Beziehung, weil er Angst hat, vereinnahmt zu werden; er mag schöne Mädchen, hält Sex aber für gefährlich, da der alles verändert. Er genießt es, die Mädchen nur anzusehen.
,,Wenn du eine Schönheit das erstemal siehst, bläst es dich um, du willst sie haben. Aber wenn du dann mit ihr schläfst, ist der Zauber meist verflogen."
   Tricky liebt den Erfolg, er könnte es nicht ertragen, zweitklassig zu sein.
Aber er fürchtet die Verantwortung. ,,Mein Erfolg setzt mich unter Druck", sagt er. ,,Ich bin plötzlich verantwortlich für eine ganze Menge Menschen, die 
von mir leben. Ich hatte noch nie Verantwortung in meinem Leben. Das ängstigt mich zu Tode."
   Nun ist er auch noch für ein kleines Mädchen verantwortlich, Maisey, seine Tochter und die seiner Partnerin Martine. Martine ist 20, stammt aus einer reichen Familie, hat teure Schulen besucht und ist gebildet. Als sie und Tricky sich vor vier Jahren trafen, waren sie einander fremd wie Wesen aus verschiedenen Sonnensystemen; trotzdem oder deswegen war da eine Anziehung, eine Spannung, die die Songs auf »Maxinquaye« soanders, so eindringlich klingen lassen. Alles was Bedeutung hat in Trickys Leben, scheint aus der Beziehung zu Martine zu resultieren. Heute leben die beiden getrennt, sie reden kaum miteinander, nur in der Musik funktioniert ihre Beziehung.
   Tricky, der launische Kindskopf, bemüht sich ernsthaft, Vater zu sein. Deshalb ist seine Tochter oft in seiner Nähe, selbst auf Tour. Vielleicht kann Tricky, der Vater, verhindern, das seine Tochter sich später so gehetzt fühlt wie er, der keinen Vater kannte. Vielleicht lernt Tricky auch Ausgeglichenheit von seiner Tochter. ,,Maisey hatte auf der Tour die beste Laune und die meiste Energie von uns allen. Sie ißt, wenn sie Hunger hat, und schläft, wenn sie müde ist. Würde man diesem Vorbild folgen, wäre alles viel einfacher", sagt Tricky und blickt auf seine Hände, die mit dem üblichen Joint spielen. ,,Manchmal wünsche ich mir; selbst stabiler und ausgeglichener zu sein. Aber dann könnte ich nicht solche Musik machen. Das ist wohl ein Teil des Deals." Alles in allem will er dann doch lieber
Köpfe platzen lassen. 
FRANK SIMON

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 photos: Andrew Catlin, Joe Dilworth

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