TripHop - And It Won't Stop
Glatt durch die Finger flutschte unserem Autor Heiko Hoffmann einer der glibbrigsten Begriffe des Jahres 1996.

Schuld ist Andy Pemberton. Unabhängig von der Frage, wer das problematische (um nicht zu sagen Haß-Wort erfunden hat, etablierte eben jener Pemberton 1994 den Begriff, als er scheinbar eine Lieblingsbeschaftigung englischer Journalisten mal eben eine neue Musik-Schublade bastelte und ihr in der Juni-Ausgabe des MIXMAG den Namen TripHop gab. Doch schon die ersten Umschreibungen klangen eher abschreckend. Wie Dr. Dre auf Magic Mushrooms solle sich der neue Dancefloor- Sound anhören oder noch schlimmer - wie Sven Väth mit Jeep-Beats. Eine kurze Definition klärte auf, daß TripHop »eine geschickte Fusion aus schleppenden Beats, super-fetten Bassen und einer Obsession für die Art entrückter Klänge sei, die man normalerweise auf Acid- House-Platten fand«. Womit der Schreiber wohl beweisen wollte, daß sein Stil mindestens genauso abstrakt war wie die Musik, die er zu beschreiben versuchte. Darüber hinaus sollte sich die neue Musikrichtung über die Abwesenheit von Vocals bestimmen lassen, und alles klang, so der Schreiber, krank, bekifft oder einfach abgefuckt.
   Eine erste Auflistung von TripHop-Acts bestätigte, daß die Auswahl recht beliebig war. Da wurden so unterschiedliche Musiker wie die Dust Brothers (heute Chemical Brothers) genannt, Andrew Weatheralls Projekt Sabres Of Paradise, die Wiener Kruder & Dorfmeister und DJ Shadow, der kalifornische HipHop-DJ, der mit seiner 1993 auf Mo Wax veröffentlichten 12-lnch »ln Flux« ein wegweisendes Meisterstück abgeliefert hatte.

Und sei es nur, weil Mo Wax, ein vormals recht durchschnittliches Acid-Jazz Label, plötzlich zur angesagtesten Plattenfirma der Welt avancierte und sein Eigentümer, der 22jährige James Lavelle, zu einer Art Bill Gates der Dance-Branche mutierte, wie Sascha Kösch in SPEX feststellte.
   Mit der Veröffentlichung der Debüt-Alben von Portishead und Tricky wurde schließlich auch der Bristol-Sound unter Trip Hop subsumiert, der Begriff machte die Runde und weigert sich seitdem beharrlich, zu verschwinden. Weil TripHop sich gerade über seine mysteriöse Schwammigkeit definiert, wird der Begriff entweder mit Anführungs zeichen versehen (ähnlich wie Springers »DDR«), krampfhaft vermieden oder aber auf so ziemlich alles draufgeklebt, was halbwegs langsam vor sich hingroovt (sogar die Wanna-be-Hipster Fun Lovin Criminals qualifizierten sich für die TripHop-Ecke).
   Selbstverständlich wurde das Wort 1996 exzessiv verwendet, ob nun in den Medien, im Plattenladen oder beim Geplauder in der Szenebar: Trip Hop war '96 (ähnlich wie Drum & Bass) überall.
   Während die Werbeagenturen Drum & Bass dazu auserkoren, ihren TV-Clips eine Aura des Sportlichen, Kraftvollen und Hippen zu verleihen, wurden spröde, mit Streichern versehene TripHop Klänge überall dort eingesetzt, wo geheimnisvolle Erotik romantisch knistern sollte. Kein Wunder jedenfalls, daß die gesamte Musikindustrie im abgelaufenen Jahr auf der Suche nach den nächsten Portishead zu sein schien - Voraussetzungen: betörender Frauengesang, melancholische Melodien und leicht verschrobene Klänge. Morcheeba, Ingrid Schroeder, Lamb, 
Sneaker Pimps, Baby Fox und etliche andere zusammengekaufte Acts sollten den Firmen volle Kassen bescheren und floppten statt dessen nahezu ausnahmslos. Ein zeitgemäßer Sound allein macht halt noch keinen Hit. Auch im lndie-Bereich konkurrierte gleich ein halbes Dutzend Labels um die Gunst der Szene-Käufer und einen regelmäßigen Clubabend in Londons der zeitiger Party-Location Nummer 1, der Blue Note Bar. Wobei das von Coldcut betriebene Label Ninja Tune dem mittlerweile Major-abhängigen MoWax mit grandiosen Acts wie Funki Porcini und DJ Vadim den Rang ablaufen konnte. Auch Wall Of Sound vermochte mit guten Veröffentlichungen zu überzeugen, allen voran die Propellerheads, einer der wenigen Elektronik-Acts, die live noch um einiges besser sind als auf Platte. Daß man im Hause Wall Of Sound auch durchaus zu labelübergreifenden Kooperationen bereit ist, zeigte die in Zusammenarbeit mit Howie B's Pussyfoot Records entstandene Compilation »Wall Of Pussy«. Howie B., einer der angesehensten Produzenten der Londoner »abstract beats«-Bewegung, machte 1996 mehr als fünftes Rad am U2-Tour-Bus als durch eigene Platten von sich reden.   Unter neuem Namen firmiert hingegen in England eine Szene, die Andrew Pemberton und andere bis vor kurzem sicher noch als TripHop bezeichnet hätten, nämlich »Big Beats« (nach dem monatlichen Club »Big Beat Boutique« in Brighton) oder »Chemical Beats« (nach den Chemical Brothers) genannt. Hier zelebrieren Musiker wie Lionrock, Monkey Mafia und Fat Boy Slim (eines der Side-Projects von Pizzaman und Mighty Dub Kat Norman Cook) Hau- Druff- Breakbeats in Reinkultur - Musik, zu der in England Fußballtrikot-Träger mit einer Pint Lager in der Hand Pogo tanzen.
   Der Mann, der immer als die Speerspitze des TripHop bezeichnet wird, veröffentlichte 1996 gleich zwei Alben. Doch auf denen zeigt Tricky eher einmal mehr, daß er in einer eigenen (zappendusteren) Musikwelt lebt und sich jeder Kategorisierung beharrlich entzieht. Im Laufe des Jahres 1997 soll es dann auch wieder neue Alben von Trickys ehemaligen Bristol-Kollegen Portishead und Massive Attack geben. Wetten, daß auch dann wieder das T-Wort fallen wird?! TripHop hat es zwar wahr scheinlich nie gegeben, aber totzukriegen ist er trotzdem nicht.

 
 
 
Dieselbe Ausgabe hat noch eine kleine Anekdote über Tricky, Björk und Keith Flint auf der ersten Seite:

Das Kriegsbeil begraben haben Keith Flint (Prodigy) und Tricky: Keith entschuldigte sich dafür, daß er Tricky und seine Lebensgefährtin Björk als "Bon Jovi" und "Michael Jackson und LIsa Marie Presley" bezeichnet hatte. Tricky zog daraufhin sein T-Shirt wieder aus, das mit Keith Gesicht und dem Work "C---- Face" bedruckt war.

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  photos: Retna / Inter-Topics

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